Therapie der juvenilen Myopie mit Atropinsulfat-Augentropfen 0,01%
Was ist Atropin ?
Atropin ist ein Arzneistoff aus der Schwarzen Tollkirsche (Atropa belladonna, Nachtschattengewächs) und wurde bereits im 19. Jahrhundert entdeckt, dessen pharmazeutische Wirkung erforscht und für medizinische Zwecke genutzt.
Seit vielen Jahrzehnten ist Atropin aus der Augenheilkunde nicht wegzudenken. Es wird als Mydriatikum zur diagnostischen und therapeutischen Weitstellung der Pupille eingesetzt. Große Pupillen galten bei Frauen in der Renaissance und im Barock als Schönheitsideal, deshalb wurde für einen "feurigen Blick" ein Tollkirschen-Extrakt in die Augen geträufelt.
Atropin befindet sich auf Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Warum hilft Atropin gegen Kurzsichtigkeit ?
Atropin bewirkt bei langfristiger Anwendung eine Reduktion des Längenwachstums des Augapfels. Ein zu langer Augapfel ist meistens die Ursache für Kurzsichtigkeit bei Kindern, da das Bild vor und nicht auf die Netzhaut projiziert wird.
Die Atropin-Therapie wird weltweit zunehmend angewandt und hat sich auch in Deutschland in der Augenheilkunde fest etabliert. Zahlreiche Augenkliniken und Augenärzte setzen Atropinsulfat-Augentropfen bereits ein.
Klinische Studien
Im asiatischen Raum tritt die Kurzsichtigkeit bei Kindern noch viel häufiger auf als in Europa. In zahlreichen klinischen Studien wurde in diesen Ländern (u.a. China, Singapur) die Wirksamkeit von Atropinsulfat-Augentropfen nachgewiesen und stellt dort eine weit verbreitete Therapie dar. Derzeit laufen in Deutschland Studien, um die Wirksamkeit der Atropin-Therapie auch bei europäischen Kindern zu untersuchen.
Zahlreiche Fachgesellschaften für Augenheilkunde haben die Atropin-Therapie in ihre Leitlinien zur Therapie der juvenilen Myopie aufgenommen.
Welche Atropin-Konzentration wird eingesetzt ?
Die Konzentration der Atropinsulfat-Augentropfen beträgt nur 0,01% und ist mit einer 50-fachen Verdünnung im Vergleich zu sonstigen ophthalmologischen Indikationen sehr niedrig. Diese hochverdünnten Augentropfen zeigten in klinischen Studien den nachhaltigsten Effekt sowie die geringsten Nebenwirkungen. Mittlerweile werden aber auch höhere Atropinsulfat-Konzentrationen von 0,02 - 0,05% verwendet. Durch die Atropin-Therapie kann die Kurzsichtigkeit um bis zu 50% reduziert werden.
Der Einsatz von hochdosiertem Atropinsulfat (0,5 - 1,0%) hat kurzfristig eine stärkere wachstumshemmende Wirkung auf den Augapfel. Allerdings wird dieser Vorteil einerseits mit deutlich mehr Nebenwirkungen (Blendungsempfindlichkeit, Nahsichtstörungen, Kopfschmerzen) und andererseits mit einer weniger nachhaltigen Wirksamkeit erkauft.
Wann sollte mit der Therapie begonnen werden ?
Die Atropin-Therapie wird begonnen, sobald eine Kurzsichtigkeit festgestellt und mit mindestens einer halben Dioptrie pro Jahr zunimmt. In der Regel wird sie zwischen sechs und zwölf Jahren eingesetzt. Die Therapie kann aber auch früher begonnen und länger durchgeführt werden.
Wie lange dauert die Behandlung ?
Atropinsulfat-Augentropfen 0,01% werden in der Regel zunächst drei Monate lang angewandt. Danach erfolgt eine augenärztliche Kontrolluntersuchung, bei der neben der Messung der Kurzsichtigkeit mögliche Nebenwirkungen, die Praktikabilität im Alltag und die Therapietreue besprochen werden. Anschließend erfolgt alle sechs Monate eine Messung der Kurzsichtigkeit zur Überprüfung des Therapieerfolges.
Üblicherweise wird die Atropin-Therapie zwei Jahre durchgeführt. Danach wird eine Pause eingelegt und das Fortschreiten der Myopie beobachtet (ATOM-Studie). Sollte die Kurzsichtigkeit weiter zunehmen, kann die Atropin-Therapie wieder aufgenommen werden.
Die Atropin-Therapie kann bei gutem Ansprechen über mehrere Jahre bis zum Ende der Wachstumsphase des Auges zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr fortgesetzt werden.
Welche Nebenwirkungen haben die Augentropfen ?
Die Therapie mit Atropinsulfat-Augentropfen 0,01% ist sehr gut verträglich und in aller Regel nebenwirkungsfrei. Die Augentropfen nach unserer Rezeptur zeigen keinerlei Brennen oder Reizung der Augen.
Die Atropinsulfat-Konzentration ist mit 0,01% sehr viel niedriger wie bei sonstigen ophthalmologischen Anwendungen (50-fache Verdünnung). Durch die starke Verdünnung tritt die unangenehme Nebenwirkung der Blendungsempfindlichkeit durch die Weitstellung der Pupille (Mydriasis) nicht mehr auf. Auch andere Atropin-typische Nebenwirkungen wie Nahsichtstörungen (unscharfes Sehen naher Gegenstände) oder Kopfschmerzen treten nicht auf.
Das Konservierungsmittel Benzalkoniumchlorid wird seit Jahrzehnten in Augentropfen verwendet. Bei der minimalen Konzentration von 0,005% und einer einmal täglichen Anwendung ist das Konservierungsmittel auch bei einer Langzeitbehandlung für Kinderaugen völlig unbedenklich.
Wann dürfen die Augentropfen nicht angewendet werden ?
- bei einer Allergie auf einen der Inhaltsstoffe (siehe unten)
- bei bakteriellen, viralen oder sonstigen Infektionen des Auges
- nach einer Operation am Auge
- bei Verletzungen am Auge
- während dem Tragen von weichen Kontaktlinsen
Wie werden die Augentropfen dosiert ?
Vor dem Schlafengehen wird jeweils ein Tropfen in beide Augen eingetropft („Sandmann-Tropfen“).
Wie werden die Augentropfen angewendet ?
Wichtig! Um eine mikrobielle Verunreinigung der Augentropfen zu vermeiden, darf die Tropferspitze des Fläschchens nicht mit den Augen, Händen oder einem Gegenstand in Berührung kommen.
1. Verschlusskappe abdrehen und Fläschchen zwischen Daumen und Zeigefinger mit der Tropferspitze nach unten halten.
2. Das untere Augenlid etwas nach unten ziehen, damit sich zwischen Auge und Lid eine Tasche bildet.
3. Die Tropferspitze ca. 1-2 cm an das Auge heranführen und das Fläschchen leicht quetschen, bis ein Tropfen von der Tropferspitze ins Auge fällt.
4. Zur verbesserten Wirksamkeit durch einen längeren Verbleib der Augentropfen im Auge, kann der Tränenkanal nach dem Tropfen für 30-60 Sekunden abgedrückt werden. Dazu drückt Ihr Kind mit Daumen und Zeigefinger rechts und links auf den Nasenschaft.
Versuchen Sie Ihrem Kind möglichst frühzeitig die eigenständige Anwendung der Augentropfen beizubringen.
Wie werden Augentropfen aufbewahrt ?
Nicht über 25°C, vor Licht geschützt und fest verschlossen.
Da es sich bei Atropinsulfat-Augentropfen 0,01% um eine Individualrezeptur mit geringer Konservierung handelt, sind diese gegenüber Fertigarzneimitteln nur begrenzt haltbar.
Ungeöffnete Fläschchen werden bis zum Anbruch im Kühlschrank bei 2-8 °C gelagert.
Das aktuell verwendete Fläschchen kann vier Wochen bei Raumtemperatur gelagert werden.
Wie lange darf ein Fläschen Augentropfen verwendet werden ?
Jedes Fläschchen darf nach erstmaligem Öffnen vier Wochen verwendet werden. Danach ist der Rest zu verwerfen und ein neues Fläschchen zu öffnen.
Die Augentropfen dürfen maximal bis zum angegebenen Verfalldatum verwendet werden.
Was ist der Unterschied zwischen EDOs und Quetschfläschchen ?
Augentropfen in EDOs (Einzeldosisophtiolen) benötigen keine Konservierungsstoffe, da sie nach einmaligem Gebrauch weggeworfen werden. Der Nachteil ist, dass sie in der Handhabung weniger praktisch, in der Regel deutlich teurer sind sowie viel Plastikmüll verursachen. Außerdem sind diese kaum verfügbar. Die notwendige Konservierung in Quetschfläschchen (Mehrdosenbehältnis) ist sehr gering und für Kinderaugen völlig unbedenklich.
Welche Inhaltsstoffe enthalten die Augentropfen ?
Atropinsulfat, Natriumchlorid, Natriumedetat, Benzalkoniumchlorid, Wasser für Injektionszwecke